Ö1 Sendung „Contra“ (20. Oktober 2024, Interview und Ausschnitte)
Ö1 Podcast „Kabarett und Comedy“ (ausführliches Interview, Transkript unten)
Anmoderation
Hallo und willkommen beim Ö1‑Kabarettpodcast. Bernhard Fellinger begrüßt Sie.
„Rouladen“ heißt der bewusst unsexy und oma‑hafte gewählte Titel der ersten gemeinsamen Bühnenshow von Christoph Grissemann und Robert Stachel. Die Willkommen‑Österreich-Lieblinge haben sich zusammengetan und eine schräge Therapie‑Satire komponiert. Elisabeth Stratka hat die beiden getroffen und sie über ihre Lieblingsrollen – und Rouladen – befragt. Robert Stachel gibt gleich zu Beginn Einblicke in den Schreibprozess:
Robert Stachel: Wir haben von Anfang an beschlossen, kleine Sketche zu schreiben und wechselnde Rollen zu spielen. Rouladen wurde im Schreibprozess zur Klammer für dieses Wechseln, dieses Hin‑ und Her‑Wickeln der Geschichten, die wir uns ausgedacht haben. Die Entwicklung der Geschichten in ein einziges, metaphorisches Wort zu pressen – das wurden dann eben die Rouladen. Das hat sich auch ins Stück zurückgespiegelt, weil wir die Rouladen als Leibspeisen unserer beiden Therapeutenfiguren verwenden konnten: Der eine liebt die Biskuitroulade, der andere die Rindsroulade – zwei geschmacklich sehr gegensätzliche Produkte.
Christoph Grissemann: Dazu kommt ein Titel, der sagenhaft unsexy ist – auch das war uns wichtig. Und es gibt keinen Wortwitz im Titel; das Programm heißt nicht „Heiter bis ulkig“ oder ähnlich – solche Titel gehen mir bei Kabarettprogrammen wahnsinnig auf die Nerven. Rouladen ist ein Wort, das auf der einen Seite auch die Omis und Opis abholt – die Roulade ist in Österreich seit Jahrzehnten eine Leibspeise, manche verwechseln das vielleicht mit einer Kochshow – das sind Einnahmen, die uns nur recht sind. Und natürlich heißt Roulade auch Rolle, bzw. erinnert an den Purzelbaum – das deutet an, dass es ein sehr unernster Abend wird. Insofern fanden wir – obwohl alle dagegen waren – den Titel genau richtig.
Elisabeth Stratka: Rouladen sind ja auch etwas zutiefst Österreichisches, oder?
Christoph Grissemann: Absolut. Die Rindsroulade ist in Österreich zuhause – ob es das in Deutschland oder Dänemark genauso gibt, weiß ich nicht. In Dänemark wahrscheinlich in einer veredelteren Form, für viel Geld. Unser Programm richtet sich jedenfalls stark an ein österreichisches Publikum. Ich glaube nicht, dass der große internationale Comedy‑Markt auf uns wartet.
Elisabeth Stratka: Das Setting ist eine Therapie – zumindest in der ersten Hälfte. Eine Sitzung oder mehrere?
Robert Stachel: Es ist eine Therapiesituation. Wir haben nach einem Setting gesucht, in dem sich fremde Menschenbegegnen und sich sehr intime Dinge erzählen – an sich schon grotesk. Es ist aber keine „Therapiesatire per se“; wir hätten auch ein Bordell nehmen können – dort passieren ähnliche Offenbarungen –, das wäre uns aber zu billig gewesen. Das Problem am Therapiesetting ist, dass der Abend – zumindest im ersten Teil – im Sitzen passiert. Fürs Publikum ist das undynamisch; aber mir ist keine Therapieform bekannt, in der Therapeut und Klient stehen. Also blieb nur das Sitzen. Das Liegen der Analyse wäre noch schwieriger gewesen – die hinteren Reihen würden uns gar nicht mehr sehen. Die Kompromissvariante Sessel war für uns alte Herren das Beste.
Elisabeth Stratka: Eine Couch wurde nie auf die Bühne transportiert?
Robert Stachel: Wir wollten da genau sein. Ich kenne mich ein wenig mit Psychoanalyse aus – die echte Analyse (Patient liegt) bedeutet, dass der Therapeut viel weniger interagiert. Diese Methodik wollten wir korrekt abbilden, auch wenn es im Stück dann zerblödelt wird. Unser Kern ist, dass Therapeut und Klient aneinander vorbeireden – das ist nur im Sitzen denkbar.
Elisabeth Stratka: Die Therapiesituation bietet viele Rollenmöglichkeiten. Was sind Ihre Lieblingsrollen?
Christoph Grissemann: Meine Lieblingsrolle ist der Wunderheiler Braco – die Figur wurde in der Presse von Thomas Kramar gar nicht erkannt. Er schrieb, Grissemann mache eine alte Bäuerin nach – die größte Demütigung! Ich habe mir die Rolle monatelang erarbeitet; und der Parodierte wurde nicht einmal erkannt. Trotzdem bleibt es meine Lieblingsrolle, weil sie so viel bietet: Man kann hysterisch und ekstatisch durch die Sätze springen. In dieser Szene reden Therapeut und Klient am kunstvollsten aneinander vorbei und verstehen einander überhaupt nicht mehr.
Robert Stachel: Meine Lieblingsfigur ist der überforderte Kabarettist – eine fiktionale Figur, gebaut aus der Vorstellung, wie es wäre, wenn ein Kollege überhaupt nicht nachdenkt, jedes Engagement annimmt und den Alltag nur mehr mit exzessivem Alkoholkonsum bewältigt – und damit zum Therapeuten kommt. Sie ist das Gegenstück zu meinem echten Ego (nicht ganz, eh klar) und macht mir großen Spaß. Sie funktioniert nur, wenn man voll draufdrückt – etwas, das ich sonst nicht mag. Aber diese Figur braucht das – und das ist heilsam.
Elisabeth Stratka: Ich muss gestehen: Den Wunderheiler Braco kannte ich nicht – daher konnte ich ihn auch nicht erkennen. Es gibt also reale Vorbilder. Ist das wichtig fürs Verständnis oder eher Material für den Rollenbau?
Christoph Grissemann: Ich spiele den Therapeuten – Vorbild ist Reinhard Haller, den ich sehr schätze: großartiger Gerichtspsychiater und Buchautor. Ich habe ihn bei Willkommen Österreich schon parodiert; er hat sogar mitgespielt – auch in Sketches von uns. Großartig ist bei Haller, wie er über Serienmörder spricht – mit dieser sanften Stimme: „…wurde die Frau dann zerstückelt und am Stadtrand vergraben.“ Diese Dissonanz zwischen sanftem Duktus und furchtbarem Inhalt hat mich gereizt. Sonst gibt es keine namentlichen Vorbilder – eher Typologien. Und da ist Robert fantastisch: Er ist vielleicht nicht der „beste Stimmen‑Parodist“, aber er hat den ganzen Menschen im Blick – der beste Charakter‑Parodist. Sag ihm, er soll irgendwen nachmachen – es wird meisterhaft. Nicht nur die Stimme (wo er bei Maschek ja auch großartig ist), sondern der Kern eines Charakters.
Christoph Grissemann: Wir machen das abseits oft – Menschen nachmachen –, und beim Robert muss ich so lachen, dass mir die Tränen kommen. Das ist mir auch bei der Premiere passiert – obwohl ich’s schon tausendmal gehört hatte.
Robert Stachel: Bei der Premiere hat sich viel Unerwartetes ergeben – etwa, dass die Pointe fälschlich schon am Anfang verraten wurde. Wenn man improvisatorisch halbwegs begabt ist und das retten kann, wird die Nummer oft besser, als wenn sie korrekt gespielt wäre. Unsere größte Herausforderung in der letzten Woche vor der Premiere war: nicht so viel zu „kudern“. Der erste gelungene Durchlauf im Rabenhof – mit Leuten aus dem Haus im Publikum – endete mit dem Rat: „Es ist super, aber ihr müsst aufhören.“ Das ist schwieriger, als zu sagen: „Lach nicht.“ Ich war bei der Premiere zum Glück einigermaßen bei der Sache – und habe genossen, dass ich weniger gekudert habe als er. Bei Maschek ist’s sonst umgekehrt: Ich falle aus der Rolle und fang zu lachen an. Im Zweifel bin ich lieber jemand, der zu leicht zu unterhalten ist, als jemand, der „zum Lachen in den Keller geht“. Das goutiert das Publikum.
Elisabeth Stratka: Noch zu den Vorbildern: Hat der deutsche Therapeut ein konkretes Vorbild?
Robert Stachel: Er ist an Peter Sloterdijk angelehnt – genauer: an meine Maschek‑Variante von Sloterdijk. Ich finde faszinierend, wie er einen beim komplexen Denken zuschauen lässt – fein ziselierte Gedankenwelten, die er extemporiert. Sloterdijk ist natürlich kein Therapeut, sondern Kulturphilosoph; trotzdem eignet er sich fürs Setting: Er redet nicht nur vorbei (wie unser „Haller“), er hört gar nicht zu und fabuliert in seiner eigenen Gedankenblase über belanglose Subthemen – z. B.: Warum sagt man Rindsroulade und nicht Rindroulade? Einfach, weil er Deutscher ist. Für einen Patienten mit dringlicheren Problemen ist das unfreiwillig dramatisch – genau diese Komik wollten wir erzählen: aneinander vorbeireden und gleichzeitig wahnsinnig viel wollen.
Elisabeth Stratka: Eine andere Situation im Programm: der Schauspielunterricht.
Christoph Grissemann: Man merkt vor allem die ungeheure Freude am Rollenwechsel. Ernsthaften Unterricht brauchte es dafür nicht – das sieht man an der Szene. Einen eitlen, erfolglosen Schauspieler zu spielen, fällt mir leicht. Ich spiele den Bruder von Christoph Waltz – eigentlich nur in Roberts Albtraum. Dieser Bruder leitet einen armseligen Schauspiel‑Workshop. Kaum etwas ist lustiger als die Schal‑werfenden Schauspiel‑Idioten dieses Landes – wir kennen sie alle. Früher war es gang und gäbe, Schauspieler anzubrüllen und zu demütigen – das zu parodieren liegt auf der Hand und macht wahnsinnig Spaß.
Robert Stachel: Das Paradox ist: Was wir da ausagieren, ist mein kleiner Schauspieltraum – und er erfüllt sich als gescheiterter Workshop. Nach 25 Jahren Maschek macht mir das Parodieren/Synchronisieren immer noch großen Spaß. Aber Charaktere zu entwickeln, ohne Tagespolitik, hat mir gefehlt. Jetzt kann ich’s mir erfüllen – und gleichzeitig die Nichterfüllung thematisieren. Das ist ein bisschen der Abend.
Elisabeth Stratka: In der zweiten Hälfte ändert sich das Setting: Das Publikum sitzt mit Ihnen im Warteraum. Was bietet der satirisch?
Christoph Grissemann: Ähnlich wie die Therapie: Man trifft auf Fremde, muss peinliches Schweigen überbrücken. Wir wollten zeigen, wie unangenehm das sein kann – und wie sich in 30 Minuten aus anfänglicher Skepsis und gegenseitigen Beschimpfungen so etwas wie Freundschaft entwickelt – über gemeinsames Geblödel und schrägen Podcast‑Ideen. Warteräume sind strange, man fühlt sich unwohl, sitzt auf fremden Stühlen und weiß nicht, wer als Nächster reinkommt. Unerträglich und spannend zugleich – und jede*r kennt es.
Robert Stachel: Im Wartezimmer „spielen“ wir uns selbst – mit genau geschriebenem Text (Ping‑Pong‑Pointen). Das Gute: Man darf lachen; wenn der eine trifft und der andere lacht, ist es nicht falsch. Gleichzeitig braucht die Szene Tempo – daran haben wir viel gearbeitet. Spannend ist auch die Peinlichkeit, „erwischt“ zu werden: Man unterstellt ein dunkles Thema. (Ja, wir wissen: Auch Gesunde gehen zur Psychotherapie.) In der ersten Hälfte erfahren wir, warum der jeweils andere da ist – im zweiten Teil erzählen wir über Künstlichkeiten und Grenzen der Kommunikation weiter. Und dann kommt die Podcast‑Idee: ein Versuch, diese Podcast‑Manie zu spiegeln. Während in Ö1‑Features Redaktionen tagelang feilen, scheint es bei Podcasts oft zu reichen, ein Mikro hinzustellen und Tischgespräche zwei Stunden lang zu übertragen. Das geht mir als altem Publizistik‑Studenten ein bisschen gegen den Strich. Wir erheben uns darüber – und machen natürlich mit. Wie bei Maschek gilt: Kritik immer auch an uns selbst. Also: Wir schimpfen über Laber‑Podcasts – und labern dabei selbst. Der Abend ist durchgelabert und zugleich sehr genau geschrieben.
Elisabeth Stratka: Mich hat in der Vorstellung noch etwas amüsiert: Wie hat es Wolfgang Fellner ins Programm geschafft?
Christoph Grissemann: Fellner schafft alles, wenn er sich’s vornimmt. Es war eine Notlösung, weil uns im zweiten Teil Zeit fehlte. Ich wusste, dass ich Fellner aus dem Ärmel schütteln kann – er ist eine derart groteske Medienfigur, auf die sich alle einigen können: gleichzeitig mächtig und lächerlich. Wir haben überlegt, ob ich wirklich in den Fatsuit, mit Perücke und Kartoffelnase auftreten soll – das hätte zu lange gedauert. Umso besser, dass es allein mit dieser blöden Stimme funktioniert. Und offenbar parodiert ihn niemand sonst – unverständlich, denn Fellner ist eine Steilvorlage.
Elisabeth Stratka: Wird sich die politische Pointe im Programm je nach Ereignissen ändern?
Robert Stachel: Dafür haben wir bewusst eine Leerstelle gelassen – für aktuelle gesellschaftspolitische Dinge. Klar war, dass die Premiere kurz nach der Nationalratswahl stattfinden würde. Monatelang haben wir überlegt: Muss Van der Bellen ins Programm, muss Kickl in Therapie? Naheliegend wäre es: Van der Bellen hadert mit der Regierungsbildung, Kickl vielleicht mit der Frage, ob er dem angestrebten Amt gewachsen ist. Wir haben es am Ende bewusst weggelassen. Bei mir auch aus dem Bedürfnis, neben Maschek etwas zu machen, das nicht an der Tagespolitik hängt.
Elisabeth Stratka: Danke fürs Gespräch! Im Ö1‑Kabarettpodcast waren heute Christoph Grissemann und Robert Stachel zu Gast. Ihre Bühnenshow „Rouladen“ läuft derzeit im Theater im Rabenhof in Wien.
Schreibe einen Kommentar