Beitrag aus dem Jahr 2011 für das Buch „Hobbythek. Kulturelle Revolution im Wohnzimmer„, herausgegeben 2022 von Thomas Fürhapter (Wien, edition mono)
Ich war im Herbst 1998 gerade von einem einjährigen Studienjahr in Berlin heimgekommen und hörte über den Falter die frohe Kunde von der neu eröffnenden Hobbythek. In einem vom österreichischen Gewerkschaftsbund verlassenen Gebäude im siebenten Bezirk bespielte ein engagierter Freundeskreis – alle Anfang/Mitte 20, etwas jünger als ich – ein Straßenlokal mit einem augenscheinlich berlinophilen Mix aus Jugendklub, Cocktailbar und Kellertheater. Zentrales Konzept der Hobbythek war ein wöchentliches Hobbyouting: Wer wollte, war eingeladen, sein Expertenwissen, sein künstlerisches Schaffen oder eben sein Hobby einer stets sympathisch interessierten Teilöffentlichkeit zugänglich zu machen. Nicht nach dem zynischen Gong-Show-Prinzip, ohne das Versprechen eines chancenreichen Talentesprungbretts, sondern in aller Ruhe und – dem Geist des Ortes entsprechend – solidarischen Freundschaft.
Die Immobilie war von einer geradezu grotesken Enge. Wenn 30 Leute in der Hobbythek waren, war sie voll, oft kamen deutlich mehr. Man kam unweigerlich ins Gespräch, bald kannte man sich und meinte einem über lange Zeit eingeschworenen Klub anzugehören. Was auch nicht gänzlich falsch war, denn um das Lokal betreten zu dürfen, musste man erst Mitglied eines Vereins werden, zu einer Tagesgebühr von zehn Schilling.
Dass die Hobbythek im Herbst 1998 als Verein gegründet wurde, war einerseits ein Trick, um die Erlangung einer Gewerbelizenz zu umgehen, entsprach aber zugleich auch dem Wunsch der Gründer, etwas Anderes, Neues, Alternatives zu schaffen. Als Vorbilder dienten damals schon berühmte Lokale in anderen Städten: Arts Laboratory in London, Mölkweg in Amsterdam, Big Apple in New York, Blow Up in München. „Das waren Alternativlokale, in die man nicht ging, um etwas zu trinken, sondern in denen Veranstaltungen stattfanden, die Musik eine große Bedeutung hatte und die Leute einen anderen Umgang pflegten. Kommunikationszentrum lautete das Schlagwort, und progressiv wollte man sein.“ (1)
Die Hobbyoutings waren oft richtig gut. Ich erinnere mich etwa an Klaus Beyer, der in der Hobbythek gänzlich ohne die sonst bei seinen Aufritten unvermeidliche Trash-Erwartung spielen durfte, was einen sehr persönlichen und rührenden Blick auf seine Arbeit ermöglichte. Ich erinnere mich an ein Kakerlakenrennen, das – Jahre vor dem RTL-Dschungelcamp – Ekel und Samstagabendunterhaltung gekonnt zu verheiraten wußte. Oder an den Kurtl Rockstar, der unter den Dutzenden Verballhornungen, die Mike Oldfields und Roger Chapmans „Shadow On The Wall“ bereits über sich ergehen lassen musste, die mit Abstand stimmigste lieferte: „Schädel ohne Woll’“, ein Lied über Haarausfall. (Wie übrigens auch Klaus Beyer eines geschrieben hat.)
Für mich und die anderen maschekdrittel Peter Hörmanseder und Ulrich Salamun lag es bald nahe, ja wurde es geradezu eine Bringschuld, selbst ein Hobbyouting anzubieten. Wir hatten unter dem Namen maschek zwar schon einige Texte ins Netz gestellt und ein paar Radiosendungen (auf dem Wiener Community-Radio Orange 94.0) gemacht, allerdings noch nie eine Bühne betreten. Das einem möglichen Outing zugrundeliegende Hobby war das Sammeln von privaten Nachlässen uns unbekannter Menschen gewesen. Kofferweise hatten wir alte Fotos, Dias, Super 8-Filme, Bücher, Briefe, Tonbandspulen, und andere vergessene oder hinterlassene Erinnerungsmedien zusammengetragen. Eine unserer beständigsten Quellen war der knapp achtzigjährige Herr Salzer, dessen kleine Gemeindewohnung im zehnten Bezirk bis in den letzten Winkel mit Dutzenden Filmprojektoren, Radios und Tonbandmaschinen sowie mit Unmengen von Film- und Tonspulen vollgeräumt war. Seiner Frau wurde seine Sammelwut immer wieder zuviel, sie zwang ihn regelmäßig Teile seiner Schätze zu veräußern. Es war nicht so einfach, Herrn Salzer zu erklären, was wir suchten – er sah sich als aufrechter Schmalfilmamateur mit dem Anspruch schöne und saubere, allgemein interessante Aufnahmen von Urlaubsdestinationen oder Wienerischen Attraktionen zu sichten und sammeln. Unser Zugang war naturgemäß ein anderer, wir wollten möglichst ungeschnittene Privataufnahmen, auf denen möglichst banale Szenen möglichst anspruchslos gefilmt wurden. Er wunderte sich immer sehr über unseren schlechten Geschmack, weigerte sich sogar manchmal, Spulen herauszugeben, weil sie ihm zu unsauber gefilmt waren. Und er hat überhaupt nicht verstanden, warum wir seiner eindrucksvollen Kollektion von auf 25 Minuten heruntergekürzten Wohnzimmerversionen großer Kinofilme wie „Ben Hur“ oder „Quo Vadis“ nur wenig Interesse entgegenbrachten.
Eine nicht unwesentliche Inspiration zu Texten und Geschichten für unser bevorstehendes Hobbyouting fanden wir unverhofft in einer Bauschuttmulde, randvoll mit Büchern befüllt. Wem sie einst gehörten, woher diese entsorgt worden waren, war nicht herauszufinden. Es waren durchwegs Bücher ohne antiquarische Bedeutung, ohne historischen Wert, ganz offensichtlich dem Müll zugedacht. Unsere Ausbeute waren Lebensratgeber und Benimmbücher aus dem frühen 20. Jahrhundert, Biografien zurecht vergessener Persönlichkeiten der Jahrhundertwende – und längst widerlegte naturwissenschaftliche Schriften, in die Pioniergeist und Aufbruchseifer ganzer Forscherleben geflossen sein müssen, und die heute doch nur als jämmerliche Spinnereien gelesen werden konnten.
Das Alte, Verstaubte, Spießige schien uns als trotzige Totalverweigerung zu jener hysterischen Schrille geeignet, die unter dem Codenamen MTV-Ästhetik zu jener Zeit als gestalterische Innovation missverstanden wurde. Unsere ersten Arbeiten waren von einer geradezu zwanghaften Langsamkeit, oberlehrerhaft vorgetragen und mit aufregungsfreier Found-Footage aus der Nachkriegszeit geschmückt. Die Hobbythek war für so etwas exakt der richtige Nährboden.
Unser erster Auftritt am 12. Dezember 1998 – wir nannten ihn „maschek.soirée“ – war kein Angebot für ein unterhaltungswütiges Publikum, sondern ein höflicher Anruf an Gleichgesinnte. Wir zeigten vor allem Dias, die wir mit gefundenen und eigenen Texten in eine logische Abfolge bringen konnten. (Die Fotoreihe „Tierpräparate von Gigant“ findet sich an anderer Stelle in diesem Buch.) Wer mochte, sollte ein Stück des gemeinsamen Weges mit uns gehen, sollte sich in der Nostalgie über die Kreisky-Zeit ergehen, in der für uns alle Milch und Honig geflossen waren. Sicher, damals waren wir noch Kinder gewesen, fröhlich eingebettet in eine Struktur elterlicher und öffentlicher Grundversorgung, und mittlerweile waren wir verschuldete oder bestenfalls mittellose Tagediebe am Übergang vom Langzeitstudium zum Kurzzeitjob. Aber das war doch nur ein Grund mehr, sich endlich an die Verklärung guter alter Zeiten zu machen.
Die Hobbythek war ein ausschlaggebendes Ausweichquartier in dieser doch relativen kleinbürgerlichen Welt, die Wien damals war und noch immer ist. Lange Haare, wegstehende Haare oder ein Outfit wie Jimi Hendrix würden heute nicht das geringste Problem darstellen, aber der Erfolgszwang ist heute wesentlich größer. Dass ein junger Mann, egal welcher Provenienz, plötzlich auf die Idee kommt, kein Geld verdienen zu wollen, das ist heutzutage nicht leicht, da herrscht echter Druck. Damals war das überhaupt kein Problem. Wahrscheinlich hat keiner von uns Geld gehabt oder nicht sehr viel. Und kein Mensch hat danach gefragt…
Ich bin weder arriviert, noch nicht anerkannt. Ich möchte wahnsinnig gern „underground“ sein und ich schwöre, ich wäre der erste, der wieder hinginge, wenn es etwas wie die Hobbythek gäbe.(2)
Ah ja: Die beiden oben eingerückten Zitate sind dem Buch „Vanilla. Ein Lokal und seine Zeit. Wien 1970-1974“ entnommen und handeln von diesem sagenumwobenen Ort, an dem sich Anfang der Siebziger Jahre all jene Künstler, Journalisten und Lebemenschen die Klinke in die Hand gaben, denen das übrige Wien zu spießig, zu fad und zu grau war. Das Wien, aus dem unsere Found-Footage wohl zum Großteil entstanden ist.
Gut, die Hobbythek war wohl nicht ganz das Vanilla, und das üble Wiener Umfeld mag 1998 nicht annähernd so böse gewesen sein wie 1969, aber wer kann das heute schon überprüfen, 13 Jahre später? Oder 50 Jahre später, wenn jemand das Buch, das Sie gerade in den Händen halten, auf einem Flohmarkt findet? Für mich ist die Hobbythek eine Legende, ich habe ihr viel Gutes zu verdanken, und ich bin sicher: So etwas kommt nie wieder nach.
- Christiane Dertnig und Lorenz Gallmetzer: „Vanilla. Ein Lokal und seine Zeit. Wien 1970-1974“. Picus Verlag, Wien 1994. Seite 36, Lorenz Gallmetzer: Im Original „Vanilla“ statt „Hobbythek“, „1969“ statt „1998“. Im letzten Satz zitiert Gallmetzer Christiane Dertnig.
- Ebd.. Seite 148, Peter Pongratz: Im Original zweimal „das Vanilla“ statt „die Hobbythek“.
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