„Das einzig Lustige ist die Schadenfreude“

„Rouladen“: Die neue Therapie-Satire des Kabarett-Duos Grissemann und Stachel

In ihrem neuen Programm stehen die beiden Kabarettisten ohne die gewohnten Partner auf der Bühne. Ein Gespräch über Psychoanalyse, Alkoholismus und den Aufstieg der Rechten

MATTHIAS DUSINI, LINA PAULITSCH

FALTER:WOCHE 40/2024 VOM 01.10.2024

Der Partnertausch findet im Rabenhof statt. Christoph Grissemann macht seit 2007 mit Dirk Stermann die ORF-Sendung „Willkommen Österreich“. Robert Stachel wiederum bildet mit Peter Hörmanseder das Duo Maschek. Nun entwickelten Grissemann und Stachel die Show „Rouladen“, die am 9. Oktober Premiere feiert. Die beiden treten in der Therapiesatire als Verwandlungskünstler auf, die wahlweise in die Rolle von Therapeuten und Patienten schlüpfen. Mit dem Falter sprachen sie über Psychokuren, kaputte Beziehungen und den Rechtsruck.

Falter: Fünf Jahre nach dem Ibiza-Skandal kommt die FPÖ bei den Nationalratswahlen auf Platz eins. Wie erklären Sie sich das?

Robert Stachel: Die FPÖ wird heute so wie Donald Trump von jenen gewählt, die sich die gute alte Zeit zurückwünschen. Dabei spielt es keine Rolle, welche realen Probleme spürbar sind, sonst hätte die FPÖ nicht die größten Mehrheiten dort, wo eh alles aussieht wie im letzten Jahrhundert. FPÖ-Chef Herbert Kickl schafft es irre geschickt – und geschickt irre –, mit diesem dubiosen Gefühl zu spielen, es gäbe ein System, das es mit der Bevölkerung nicht gut meint.

Wer wird regieren?

Stachel: Für die ÖVPler war die gute alte Zeit jene vor Kreisky, als sie noch als Kanzlerpartei mit einer kleinen SPÖ regieren konnten. Eine am Boden liegende Sozialdemokratie, die quasi nur noch Wien vertritt, ist für Nehammer sicher der kommodere Partner als ein siegestrunkener Vokaki.

Was hat Andreas Babler, der mit den Sozialdemokraten auf Platz drei landete, falsch gemacht? 

Christoph Grissemann: Ich nehme ihn in Schutz. Wie so oft macht die Wählerschaft einiges falsch. Und die geschätzte Pamela Rendi-Wagner wird sich ihren Teil denken. Freundschaft!

In der Kurier-Rubrik „Worüber ich lachen muss“ antwortete Karl Nehammer: „Über Maschek“. Zufrieden? 

Grissemann: Sie haben sich ja auch schon getroffen.

Stachel: Stimmt, bei dem Festival Gamechangers, wo wir einen Galaauftritt absolvierten. Nehammer hatte vor uns einen Auftritt. Hinter der Bühne haben wir uns die Hand geschüttelt – sehr fest.

Ist er sympathisch? 

Stachel: Ich finde ihn für einen ÖVPler recht zugänglich. Man würde es aushalten, mit ihm ein Abendessen zu verbringen. Und er ist eine tolle Maschek-Figur.

Ihr neues Stück heißt „Rouladen“. Biskuit- oder Rindsroulade? 

Grissemann: Beides. Es ist der unsexyeste Titel, den man sich vorstellen kann. Rouladen haben etwas Omihaftes, die findest du nicht auf den Tiktok-Kanälen der Foodys.

Stachel: Es war von Anfang an klar, dass wir in den Sketchen häufig die Rollen wechseln und dabei Kostüme und Masken verwenden. Über den Begriff Rollen kamen wir zu den Rouladen.

Warum diese neue Formation?

Grissemann: Weil ich finde, dass Robert als reiner Stimmenimitator unterfordert ist.

Nicht weil Sie Ihre Partner leid sind?

Stachel: Nein. Die Arbeit mit Peter Hörmanseder macht nach 25 Jahren immer noch sehr großen Spaß. Aber wir machen ja fast ausschließlich Synchronisation. Ich wollte einmal etwas ohne Video machen, Rollen spielen und nicht allzu tagespolitisch werden.

Grissemann: Was soll ich über Stermann sagen? Ich stehe mit ihm seit 35 Jahren auf der Bühne und habe mit ihm mehr Zeit verbracht als mit jedem anderen Menschen. Nach 5000 Auftritten ist es ein Wunder, dass wir uns noch zusammenraufen.

Haben Sie es, wie einmal als Sketch in Ihrer Sendung, mit einer Paartherapie versucht?

Grissemann: Nein, ich halte Stermann wie auch mich für therapieresistent. Wir sind zu alt. In einigen hellen Momenten ist es durchaus eine fruchtbare Zusammenarbeit. Wir leben in einer sadomasochistischen Unterhaltungsehe, die reizvoll, aber auch schmerzhaft ist.

Wieso therapieresistent?

Grissemann: Ich habe unlängst gelesen, dass Psychotherapie lediglich bei 30 Prozent überhaupt wirkt. Das sind jene, die sagen, dass sie sich danach irgendwie besser fühlen als vorher. Ich war einmal beim Therapeuten und war sehr enttäuscht.

Warum?

Grissemann: Er hat die ganze Zeit geschwiegen. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich alle meine Nöte und Ängste mit Menschen, die mir etwas wert sind, verhandeln kann. Das bringt mir mehr, als einem Fremden das Intimste zu erzählen.

Machen Psychoanalyse und Psychotherapie die Menschen zu besseren? 

Grissemann: Ich glaube, nein. Der Filmemacher Werner Herzog ist ein Psychoanalysekritiker. Er sagt, der Mensch sei nicht dafür gemacht, alles auszuhalten. Wenn ich in jahrelanger Psychoanalyse draufkomme, dass ich als Dreijähriger missbraucht wurde – was soll mir das helfen? Ich bin da eher fürs Zuschütten, Vergraben, Verdrängen. Die schmale Zeit, die einem auf dem Planeten gegönnt ist: lügen, lügen, lügen.

Stachel: Na ja, damit eine Therapie wirkt, muss man schon dranbleiben.

Sie sind ebenfalls therapieresistent?

Stachel: Überhaupt nicht. Wir vertreten gänzlich gegensätzliche Standpunkte. Ich halte die Psychoanalyse für eine der wichtigsten Errungenschaften überhaupt. Ich war acht Jahre lang mehrmals die Woche bei einem Analytiker.

Liegend?

Stachel: Natürlich. Ab drei Stunden die Woche laufen die Sitzungen liegend ab. Begonnen habe ich Mitte 20 mit einer Gesprächstherapie, weil ich darunter gelitten habe, es immer allen recht machen zu müssen. Der Therapeut hat mir empfohlen, am Sonntag auf den Stephansplatz zu gehen und vor aller Augen die Kronen Zeitung zu stehlen.

Grissemann: Das ist doch lächerlich.

Stachel: Mag sein, aber mich hat das damals beseelt. Es auszuhalten, etwas Falsches zu tun, und einen Zweifel nicht zur Grundlage einer Entscheidung zu machen. Eine der Auswirkungen von Depressionen besteht ja darin, dass das Urteilsvermögen und die Entscheidungskraft eingeschränkt sind.

Grissemann: Ich bin trotzdem der Meinung, dass Verdrängung am besten funktioniert. Alkohol ist ein gutes Beispiel. Ich weiß, dass Alkohol nicht gesund ist. Auf der anderen Seite weiß ich, dass mir das Trinken das Leben gerettet hat. Die schönsten Momente meines Lebens hatte ich unter dem Einfluss von Alkohol.

In „Roulade“ persiflieren Robert Stachel und Christoph Grissemann das Psychomilieu (Foto: Heribert Corn)

Sind Sie Alkoholiker?

Grissemann: Arbeitsalkoholiker. Ich trinke während der Arbeit, aber selten danach. Ich glaube, dass mir diese Droge eher nützt als schadet.

Sie wählen für „Rouladen“ das Setting einer Psychoanalyse. Machen Sie sich darüber lustig?

Grissemann: Nein, wir hätten auch eine Autowerkstatt nehmen können. In einer Ordination prallen viele verschiedene Typen aufeinander, das war wichtig.

Stachel: Wir haben uns regelmäßig im Kaffeehaus getroffen, um über ein Stück nachzudenken. Dabei sind wir draufgekommen, dass einer über ein Problem redet und der andere überhaupt nicht versteht, worum es geht. Darin steckt Humor: Zwei Probanden treffen sich und reden aneinander vorbei. So kam es zu zwei rein fiktiven, dysfunktionalen Therapeutenfiguren. Ihnen gegenüber sitzen Klienten, die der jeweils andere von uns spielt.

Der erste Ratschlag ist oft „Du bist du“, was auch heißen könnte: Du darfst ein Arschloch sein. 

Stachel: Ja eh – das ist die Selbsterkenntnis, dass ich die Kronen Zeitungfladern darf und trotzdem ein guter Mensch bin. Aber in meiner Erfahrung geht es schon weiter. Therapie gibt einem im Idealfall mehr Lust, in Dialog mit anderen zu treten.

Der Generation Schneeflocke wird vorgeworfen, sie würde den Traumabegriff inflationär verwenden. Heute hat jeder und jede Probleme, die im historischen Vergleich wohl nicht so groß sind. 

Grissemann: Das vermute ich auch – dass alles problematisiert und pathologisiert wird, was in Wahrheit das ganz normale Leben ist.

Stachel: Ich finde dieses öffentliche Ausbeuten des eigenen Leidens problematisch. Es ist doch die Verantwortung des Einzelnen, zumindest in unserem Milieu, zu sagen: Ich erkenne selbst, wenn ich dysfunktional bin, und versuche das zu lösen. Aber ich mache nicht gleich ein Hörbuch daraus. In unserem Stück kommen auch Kollegen vor, die ihre Depression genauso vor sich hertragen wie ihren Alkoholismus.

Das Hörbuch hieße dann „Ein Jahr ohne Alkohol“? 

Grissemann: Oder „Eine Woche ohne Alkohol“.

Stachel: Mit unserem Stück hat das alles aber wenig zu tun. Was wir in den „Rouladen“ machen, ist Nonstop Nonsens.

Grissemann: Eher Didi Hallervorden als Sigmund Freud.

Auf Anhieb würde man denken, Herr Stachel ist happy, Herr Grissemann depressiv. 

Grissemann: Eine interessante Fehlein-schätzung.

Stachel: Der Effekt meiner Therapie.

Grissemann: Ich bin halt schlecht gelaunt, aber das hat mit Depression nichts zu tun. Auch der schlecht gelaunte Mensch kann Lust am Leben empfinden.

Diese Kultur des Pointenlose-Witze-Machens, das keinen verletzen soll, ist ein Missverständnis

Christoph Grissemann

Sie sind beide Männer über 50. Richtet sich Ihr Humor an Ihre Altersgruppe?

Stachel: Ja. So wie FM4 – das ist ja auch kein Jugendsender mehr, sondern Radio für Leute, die 1990 jung waren. Ich meine das positiv. Jede Generation kriegt alle 30 Jahre ein neues Radio. Meinen Kindern FM4 nahezubringen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Genauso sehe ich das mit dem Humor. Jede Generation hat ihre Standards. Bei uns sind manche Kalauer drin, wo jemand, der im dritten Semester Kulturanthropologie studiert, finden wird, dass das nicht mehr geht.

Grissemann: Es gibt schon Witze von vor 30 Jahren, die man jetzt nicht mehr machen würde. Aber prinzipiell ist das Unkorrekte das Lustigste. Diese Kultur des Pointenlose-Witze-Machens, das keinen verletzen soll, ist ein Missverständnis. Das einzig Lustige ist die Schadenfreude.

Stachel: Ich finde die Idee hinter der Political Correctness nicht falsch. Wenn Mario Barth mit 15.000 Leuten in der Stadthalle gegen das Gendern anpöbelt, halte ich das für die größere Bedrohung unserer Kultur, als wenn die sprachliche Sensibilität vielleicht einmal zu weit geht.

Wie ist man denn auf korrekte Weise politisch inkorrekt? 

Stachel: Wir haben im neuen Stück einen Schmäh, der mir sehr taugt. Ich sage, ich möchte Politiker:innen betrachten. Und Grissemann versteht: Ich möchte Politiker innen betrachten. Und ich sage, nein, da interpretiert der Therapeut zu viel hinein, ich habe nur gegendert. Das ist lustiger, als – wie so manche Kollegen – mit Bausch und Bogen die Idee zu verurteilen, die hinter dem Gendern steht.

Wer tut das zum Beispiel? 

Stachel: Auch manche frühere Helden wie Didi Hallervorden. Es gibt von ihm den alten Sketch „Apfeltorte ohne Gräten“. Da fragt der Kellner einen Mann: „Was kann ich für Sie tun?“ Der Mann antwortet: „Gehen Sie zu mir nachhause und schlagen Sie meine Frau tot.“ Es würde mich mehr interessieren, was er heute über diese Pointe sagt, als was er gegen das Gendern hat.

Das Volkstheater präsentierte einen Clip als Statement gegen die FPÖ. Zum Song „Euerrr Wille geschehe (Heim ins Reich!)“ der fiktiven Band Die Hitlers lässt Intendant Kay Voges als Nazis verkleidete Schauspieler tanzen und defäkieren. 

Grissemann: Das ist natürlich grauenhaft unsubtile Scheiße. Das haben wir als 13-Jährige gemacht, um uns gegen „die Nazis“ aufzulehnen. Zum Fremdschämen.

Der Kurier hat verkündet, nicht mehr über das Volkstheater zu berichten, weil in dem Clip eine Titelseite vorkommt. 

Grissemann: Auch diese Vermischung ärgert mich. Man kann dem Kurier viel vorwerfen, aber er ist kein rechtsradikales Blatt.

Bezüglich Rechtspopulismus scheinen wir einen Gewöhnungseffekt zu erleben. Bei Jörg Haider war die Empörung ungleich größer als bei der Kickl-FPÖ. Nehmen wir das inzwischen einfach hin? 

Stachel: Wir hätten uns sogar schon darüber gefreut, wenn Nehammer Erster geworden wäre und nicht Kickl.

Ist das eine Art Entzauberungseffekt, im Sinne von: Die sind gar nicht so schlimm? 

Grissemann: Ich habe sogar kurz überlegt, Nehammer zu wählen, damit Kickl nicht Erster wird. Was natürlich Wahnsinn ist. Als würde es sich nicht mehr lohnen, SPÖ und Grüne zu wählen, weil die eh zu Kleinstparteien werden. Das ist furchtbar, aber es ist ein europäischer Trend. Ich kann nur hoffen, dass die nächsten fünf Jahre halbwegs nicht diktaturähnlich werden. Dann bin ich in Pension und es kann mir wurscht sein.

Positionieren Sie sich politisch jetzt stärker? 

Stachel: Positionierungen sind immer problematisch. Ich fand es vor 20 Jahren auch schlecht, dass Kabarettisten alle in Personenkomitees der SPÖ waren. Ich empfinde große innere Abwehr gegen diese erwartbaren politischen Bekenntnisse. Mit Maschek habe ich schon manchmal gespürt, dass sich die SPÖler erwarteten, besser behandelt zu werden.

Und die Konservativen? 

Stachel: Die Schwarzen lachen sich einen ab. Das hat auch etwas mit der Beichtsituation zu tun. Sie nehmen uns nicht als ernsthafte Bedrohung ihrer Macht wahr, sondern als etwas, wo sie Dampf ablassen können. Wirklich gefährlich ist nur, vom Publikum ignoriert zu werden. Das könnte die FPÖ mit dem ORF vorhaben.

Wird Kickl den ORF zerschlagen? 

Grissemann: Ja, das wird er sicher machen.

Stachel: Warum sollten sie den ORF wollen, wenn sie Servus TV haben? Und die Medien von Wolfgang Fellner. Sie werden Oe24 stärken.

Befürchten Sie Zustände wie in Ungarn oder in der Slowakei? 

Stachel: In Ungarn werden Theater geschlossen. Ich halte das im roten Wien nicht für komplett umsetzbar. Wir sitzen hier im Rabenhof, einem historisch gesehen sozialdemokratischen Theater.

Wenn staatliche Verträge auslaufen, könnten die Rechten schon eigene Intendanten reinsetzen.

Stachel: Ich glaube, die Wende würde sich über ökonomische Eingriffe abspielen. Wir werden Privatisierungen haben, der ORF wird vielleicht noch mehr von der Raiffeisen bestimmt. Und ich frage mich, ob etwa Puls 4, das sich meiner Meinung nach sehr gut positioniert, der Versuchung erliegen könnte, der Regierung gefallen zu wollen, wenn es ums Geld geht. Aber die Frage wird doch in Wahrheit sein, ob österreichische Kultur überhaupt noch eine Fläche hat, bei dem Wahnsinn, der sich via Youtube und Tiktok über alles drüberlegt.

Sind Sie als bekennender Trash-TV-Fan auch auf Tiktok unterwegs? 

Grissemann: Null. Ich habe vielleicht noch zehn gute Jahre und fünf schlechte und möchte mich nicht mit Tiktok auseinandersetzen.

Stachel: Trash-TV ist ein kleines Bier, Tiktok ist Heroin. Das wirft alle kulturellen Codes und Wahrnehmungsmuster über den Haufen. In zehn, 20 Jahren werden wir zurückschauen und uns fragen: Wieso haben wir das nicht verboten?

Robert Stachel,1972 in Wiener Neustadt geboren, wurde durch die 1996 mit Peter Hörmanseder und Ulrich Salamun gegründete Gruppe Maschek, die zusammengeschnittenes Videomaterial live synchronisiert, bekannt. Maschek sind fixer Teil der ORF-Late-Night-Show „Willkommen Österreich“, 2024 erhielten sie eine eigene Sendung auf ORF 1

Christoph Grissemann,1966 in Innsbruck geboren, begann seine Laufbahn 1990 als Satiriker an der Seite von Dirk Stermann in der ORF-Radiosendung „Salon Helga“. Stermann und Grissemann standen in Programmen wie „Das Ende zweier Entertainer“ auf der Bühne und führen seit 2007 dienstags in ORF 1 durch ihre Late-Night-Show „Willkommen Österreich“


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