(erschienen in „Uni aktuell“ im November 1995)
Mit der Volksabstimmung 1979 haben sich die Österreicher gegen Atomkraftwerke entschieden. Dennoch gibt es drei Atomreaktoren in Österreich, einer steht im zweiten Wiener Bezirk. Nur wenige wissen, was in dem schmucklosen Gebäude am Donaukanal wirklich vorgeht.
von Ulrich Salamun und Robert Stachel
Am unteren Ende des Praters, erreichbar mit der U3 und einem kurzen Fußmarsch, wird die Idylle der Schrebergärten nur gestört durch ein Bauwerk, das außen der kleine Bruder der Stadthalle sein könnte. Ein mächtiger Block aus den 6Oer Jahren beherbergt eines der größten Universitätsinstitute – und eines der am wenigsten bekannten: das Atominstitut, das allen österreichischen Universitäten gemeinsam gehört. Etwa vierzig Prozent seiner Studenten haben an der Uni Wien Physik oder Chemie inskribiert. Institutsvorstand Dr. Helmut Rauch ließ sich nicht lange um einen Termin bitten, aufklärende Publicity hat seine Anstalt auch nötig.
Wir hatten uns die Entdeckung eines Klein-Mochovce in Wien erwartet, sogesehen hat uns der Reaktor in der Schüttelstraße bitter enttäuscht. Schon am Telefon versicherte uns Prof. Rauch, der Reaktor gehöre „eh nur zum Praterspielzeug“, über seine Sicherheit brauche man sich nicht den Kopf zu zerbrechen: Ganz im Gegenteil: der Großteil der hier durchgeführten Forschungsarbeiten stehe im Dienste der Umwelt und der Menschen. Die erzeugte Strahlung werde „so verwendet wie woanders eine Röntgenquelle“, hauptsächlich zur Bearbeitung von chemischen Substanzen, zur Bestimmung des Alters in der Archäologie, zum genauen Nachweis von Verschmutzungen der Umwelt, zur Strahlungsmessung in der Medizin und zur Tieftemperaturforschung bei Supraleitern. Einer der letzten Coups am Institut ist eine Methode mit der – vereinfacht gesagt – festgestellt werden kann, ob ein Stück Fleisch gut behandelt wurde; als es noch Teil eines lebenden Tieres war. Dr. Rauch: „Die Umweltschützer, mit denen wir die meisten Schwierigkeiten haben, sind auf unsere Daten angewiesen.“
Der Reaktor vom amerikanischen Typ TRIGA-Mark II wurde 1962 in Betrieb genommen und ist seither durchgehend aktiv. Er hat eine Leistung von 250 Kilowatt. Zum Vergleich: Genausoviel Energie erzeugt etwa eine Mercedes-Limousine. „Damit könnten wir nicht einmal unser Gebäude heizen“, wird unsere Vermutung entkräftet, es gebe vielleicht doch österreichischen Atomstrom. Die im aufgrund seiner schwachen Leistung so genannten „Swimming-Pool-Reaktor“ entstandene Wärme wird über einen kleinen Kühler an den Donaukanal abgeführt. Die Entsorgung der Brennelemente ist im Wiener Prater kein Thema: „Die meisten Brennstäbe sind seit über 30 Jahren eingesetzt, die Abnützung ist minimal.“ Die Herstellerfirma sei außerdem zur Rücknahme des atomaren Mülls verpflichtet. Über das, was weiter damit geschieht, läßt man sich am Atominstitut keine grauen Haare wachsen, obwohl das Schicksal abgebrannter Brennstäbe aus Versuchsreaktoren erst kürzlich Gegenstand eines Kongresses war.
Von der Harmlosigkeit des Reaktors geschmeichelt, stellten wir uns die Frage nach dem Ernstfall: „Gibt es eine Möglichkeit, daß es diesen Reaktor zerreißt?“ Dr. Rauch dazu mit einem Grinsen: „Selbst wenn wir alle Boshaftigkeit einsetzen, das geht nicht.“ Der Reaktor werde sogar öfters zu Versuchszwecken „pseudo-durchgehen gelassen“, die Leistung steige dabei auf ein Vielfaches an und stürze dann automatisch in sich zusammen. Der Reaktortyp sei so konstruiert, daß keine Steuerung bei diesem Versuch nötig sei. Trotzdem wird die gesamte Anlage ständig überwacht und unterliegt strengen Sicherheitsbestimmungen. Bei einem kleinen Test mit dem Geigerzähler konnten wir feststellen, daß wir tatsächlich unverstrahlt aus dem Reaktorraum davongekommen sind.
Professor Rauch macht kein Hehl daraus, Befürworter der nuklearen Stromerzeugung zu sein. In der Diskussion um das slowakische Atomkraftwerk Mochovce sprach das Atominstitut klare Worte: Österreich habe sein Know-How in der Nuklearforschung verkümmern lassen und solle daher „nicht international als Lehrmeister auftreten.“ Die Fertigstellung von Mochovce mit westlicher Hilfe bei gleichzeitiger Abschaltung von Bohunice sei für Österreich besser als beide Kraftwerke mit slowakischem – de facto russischem – Standard. Die Stellungnahme hat einigen Wirbel ausgelöst. „Aber Sicherheit kann man nicht herreden, Sicherheit ist an technische Voraussetzungen gebunden.“ Für die universitäre Forschung ist die Atomkraft nicht mehr interessant: „Die Nukleartechnik ist erledigt. Kraftwerke kann man heute einfach bei Firmen bestellen, die das besser können als jede Universität.“
Das Atominstitut hat finanzielle Probleme, „die Stimmung für unser Fach ist nicht sehr günstig in Österreich“, ortet Dr. Rauch die Ursache für den Geldmangel. Ohne internationale Zusammenarbeit könnte die österreichische Kernforschung nicht überleben. Da nützt auch die Tatsache nichts, daß die UNO-Behörde für Atomforschung, die IAEA, in Wien ihren Sitz hat und mit dem Atominstitut kollaboriert. Viele Experimente werden hier nur vorbereitet und schließlich woanders durchgeführt, meistens auf ausländischen Universitäten. Aber auch in Österreich existieren noch zwei weitere Kernreaktoren: ein größerer in Seibersdorf, ein kleinerer an der TU in Graz.
Direkt an das Institutsgebäude grenzt die Wasserwiese, eine Gartensiedlung, wie man sie sonst nur am Wiener Stadtrand findet. Dr. Rauch: „Mit den Nachbarn haben wir das beste Verhältnis, das ist ein Phänomen. Um ein Kraftwerk herum gibt es überall riesige Akzeptanzwerte, das schlägt erst ab dort ins Gegenteil um, wo die Leute keine Informationen mehr bekommen.“ Mit einem jährlich stattfindenden „Tag der offenen Tür“ will man diese Informationen anbieten. Jeder Wiener könne sich von der Ungefährlichkeit des Atominstitutes überzeugen. Rauch: „Sich vor diesem Reaktor zu fürchten, wäre wirklich pervers.“
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